Dienstag, 12. Januar 2016

Mit 249 Sachen Richtung Traum

Und, wie war das Wochenende? Kann ich Dir nicht sagen, ich habe die Fotos noch nicht gesehen.

Der Scherz kam mir in Verbindung mit dem letzten Wochenende in den Sinn. Es ist so viel passiert in der kurzen Zeit, dass ich dieses Steak nicht in einem Stück runter bekomme, sondern es Bissen für Bissen durchkaue.
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Freitag.

Der Bahnhof ist wie immer, viele Leute, viel Lärm, viel Licht, viele Gerüche und mal wieder eine schlecht ausgeschilderte Toilette. Die brauche ich besonders dringend Dank Laufmasche in den Strümpfen. Verdammt, ich habe nur noch eine Strumpfhose dabei, für alle Unfälle und genau das traf jetzt ein, da waren mir anscheinend alle anderen Frauen auf diesem Fleckchen Erde einen Schritt voraus mit ihren Jeans und Leggins und allem anderen, nur keinem kurzen Rock oder Kleid. Natürlich, wir haben Winter und ich mein Wintergewicht (10kg mehr als im Sommer), aber who cares - ich bin mit mir eigentlich ganz zufrieden und fühle mich wohl, dem Anlass entsprechend gekleidet.

"Ist Dir nicht zu kalt?" - fragt meine Begleitung, die nicht nur der Grund für mein Mittagessen war, sondern jetzt auch noch dafür sorgt, dass ich meine Mitfahrgelegenheit pünktlich erwische.
"Nein Du, mir ist total heiß, ich schwitze sogar." - erwidere ich und es stimmt, ich bin aufgeregt und nehme meinen Körper gerade auch weniger scharf wahr.
"Auf jeden Fall fällst Du auf." - nichts neues, ich falle immer auf. Ich könnte einen Sack tragen und würde auffallen - ich weiß ehrlich nicht warum und momentan interessiert mich lediglich die Tatsache, dass der Reisverschluss meiner Stiefel auf Laufmaschen aus ist. Fuck!

Noch 1 Stunde bis Abfahrt. Wir bestellen uns einen Kaffee und setzen uns in eine gemütliche Ecke.

"Aufgeregt?" - blickt sie mir forschend über den Rand ihrer Tasse in die Augen.
"Mmmh... sehr." - antworte ich monoton, während ich in meiner eigenen rühre. Beängstigend, wenn ich bedenke, dass dieser Zustand sich in den nächsten Stunden stetig steigern wird.
"Es wird gut gehen... bestimmt. Sie scheinen nette Leute zu sein, ein Kind. Trotzdem, pass auf Dich auf. Ich habe echt keine Lust T. erklären zu müssen was passiert ist." - Egoistin mit Leib und Seele meine liebe S.
"Es würde Dich demnach an sich nicht stören mich in 1000 Teilen verstreut zu wissen, wäre da nicht die Beichte?" - sie tritt energisch gegen meine Wade und schaut mich giftig an.
"Lass das! Das ist nicht lustig Izabel. Das ist vollkommen hirnrissig. Und das weißt Du besser als ich. Ich bin hier das arme Opfer, dazu verdammt Dir den Rücken frei zu halten." - unwillkürlich muss Sie grinsen.
"Wie überaus verantwortungsvoll von Dir. Darf ich Dich mit Marzipan bezahlen?" - zwinkere ich Ihr zu.
"Du darfst was immer Du willst, solange Du mir wieder heil hier ankommst." - ich setze mich rüber und drücke sie ganz fest.
"Natürlich komme ich wieder, ich verspreche es, ich bin vorsichtig, wie immer."
"Gerade das macht mir ja Sorgen."- Sie hat ja recht, ich weiß tatsächlich nicht so wirklich was mich erwartet.

Die restliche Zeit nutzen wir, um einige Details durchzugehen und die Buchhandlung zu durchstöbern. Sie winkt mir noch am Bahnsteig, als ich in den Zug steige, Wagon 33 Platz 74 - meine Mitfahrgelegenheit sitzt bereits dort und ist in eine Unterhaltung über Kiel und die Ost- und Nordsee vertieft. Ein Pärchen aus Norwegen fährt ebenfalls mit, Er ist das erste Mal in good old Germany und bemüht sich der Unterhaltung zu folgen. Ich nehme Platz und schicke schnell ich eine Nachricht los.

- So, jetzt sitze ich im Zug.
- Dann rückst Du jetzt ja Stück für Stück näher.
- Genau, ich bin unterwegs und sehr gespannt
- Nicht mehr lang und ich guck dir in die Augen.

Ja, bald habe ich Gewissheit. Mit geschlossenen Augen lausche ich der Unterhaltung und versuche ein wenig zu dösen. Draußen ist es bereits dunkel, ich bin schon seit 4 Uhr auf und die Fahrt von DO nach AB bot keine Gelegenheit zur Augenpflege. Ich will ausgeruht ankommen, bereit für alles was kommen mag. Für eine Zeit lang schaffe ich es der Zeit ein Schnippchen zu schlagen und ein paar Stunden mit leichtem Schlaf zu überbrücken.
In HH trennt sich der Zug, hier trennen sich unsere Wege, das nette Pärchen fährt noch bis nach Kiel durch, wo sie ein paar Tage bleiben und mit Kieler Sprotten als kurioses Mitbringsel (da aus Schokolade) zurück in die neue Heimat fliegen. Wir verabschieden uns und kurze Zeit später sitze ich im Zug Richtung final destination - Lübeck.
Noch rund eine Stunde habe ich vor mir und kann inzwischen kaum noch still sitzen. Als wäre mit dem Betreten des Zugs ein Schalter umgekippt. Mein Atem geht flach und schnell, der Magen kribbelt vor lauter Aufregung, Puls... die ersten Male schaffe ich es nicht einmal einen Puls zu finden. Die Gedanken kommen nicht zur Ruhe, kreisen unermüdlich im Kopf, das Adrenalin lässt mich meine Umgebung klar und deutlich wahrnehmen, als säße ich nicht in einem Zugabteil, sondern stünde in einer kristallklaren Winternacht. Ich muss mich bewegen, bevor ich explodiere oder jemand auf die Idee kommt, ich sei ein Attentäter (ungefähr so führt sich laut meiner Vorstellung ein nervöser Attentäter auf) und beschließe mich kurz im Bad frisch zu machen. Natürlich sind sämtliche Toiletten defekt - welch ein Wunder. Allerdings kommt es mir sogar entgegen, da ich so die Möglichkeit habe schnellen Schrittes durch alle Waggons zu schreiten, im Versuch meiner inneren Anspannung davonzurennen. Das Behinderten-WC ist frei und augenscheinlich funktionstüchtig. Ich hebe meinen Blick und sehe eine vertraute junge Frau im Spiegel. Unruhig und angespannt schaut sie mir entgegen. Ich will es endlich wissen. Mein Kopf ist voll von Gedanken, dennoch kann ich keinen greifen, schnell rasen die Schwärme vorbei. Ich versuche meine Arme auszuschütteln und breche in nervöses Kichern aus. Reiß dich zusammen! Das Smartphone summt und reißt mich aus der Situation...

- Wie sieht es bei dir eigentlich aus? Fit oder geschafft von der Fahrt und bist froh, dass du ankommst?
- Ich konnte ein wenig schlafen, bin demnach erholt, alles gut.
- Auf was hast du denn gleich Lust? Lieber ruhig Zuhause oder noch ne Runde an die Ostsee?
- Ich glaube ich will eine Runde laufen. Ostsee klingt gut, natürlich nur wenn Du magst.

"Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Lübeck..." - ich stehe in der Tür, versuche zu atmen (keine gute Idee angesichts der defekten Toiletten in unmittelbarer Nähe) und mir schnell eine möglichst realistische Begrüßung vorzustellen, mich auf irgendetwas vorzubereiten. Zug hält, ich falle förmlich auf den Bahnsteig. Schnellen Schrittes laufe ich los und suche den Eingangsbereich nach A. ab, die mich doch hier irgendwo erwarten muss. Da ist sie, eine Frau kommt auf mich zu, sie lächelt, ich lächele und wir prallen förmlich aufeinander, volle Fahrt voraus. Vor lauter Anspannung drücke ich sie vermutlich zu fest und lache und spreche vermutlich zu laut, aber mit einem Mal ist die erste Anspannung raus und wir legen die letzten Schritte bis zum Auto zurück. Da steht Er. Oh... ich weiß nicht was ich tun soll, also lächele ich und sage ebenfalls etwas über die glatten Straßen. Seine Ausstrahlung ist toll, einnehmend. Am liebsten würde ich Ihn umarmen und tief in die Augen blicken, ich will sehen was drin ist. Zunächst einmal schaffe ich es aber ins Auto und wir führen den Smalltalk weiter aus, lachen und knüpfen an das bekannte Feeling an. Ich bin noch nicht ganz da und mein Kopf rauscht wie ein Birkenwald, aber ich fühle mich wohl und es fühlt sich richtig an. Die Anspannung ist inzwischen auf einem erträglichen Level angekommen und sitzt relativ entspannt als Neugier getarnt in der Ecke.
Die frische Briese von der See tut gut, wir kommen langsam richtig ins Gespräch, es fühlt sich fast schon vertraut an nach den ganzen Chats und Skypes, fremd ist man sich nicht, Er ist genau so wie ich Ihn mir vorgestellt habe, ich mag seine unverfälschte Art immer noch und Sie ist noch herzlicher als erwartet. Es ist schön hier zu sein, mit Ihm und Ihr, es ist ungezwungen und leicht und ich freue mich inzwischen auf eine heiße Tasse Tee auf dem Sofa.

Tee gibt es nicht, aber es gibt Sekt, ich glaube Hugo, mit frischen Limetten, ich sitze in der Mitte und wage es nicht Ihn länger als 1 Sekunde anzusehen - ich bin tatsächlich nervös. Die Fahrt, das neue Spielzimmer, die selbstgeflochtene Peitsche - die Unterhaltung wird spannender. Oh, da ist sie ja, ein hübsches Stück Arbeit, nicht ganz gelungen, aber für das erste Mal ganz klar sehenswert. Ich will sie kurz halten, begutachten, sie liegt gut in der Hand, lässt sich gut auf Spannung bringen und weiß der Teufel warum (und der weiß es ganz genau) lasse ich das eine Ende los und sie schnellt mit einem Mal auf seinen Oberschenkel. Ich... verdammt... irgendwo zwischen schockiert und erwartungsvoll springe ich lachend auf - fang mich doch - ein kleines nettes Intro. Wir haben also Spaß, lachen, trinken einen Schluck und irgendwann fragt Sie (ja, Sie ist es, die fragt), ob wir nicht nach oben gehen wollen, ich bin sofort dabei, schließlich möchte ich wissen worum es in der Unterhaltung ging. Das ominöse Spielzimmer in progress.

Als erstes fallen mir die Seile auf, wie sie da offen herum liegen, einladend und lockend. Ich kann es mir nicht verkneifen einige davon durch meine Finger gleiten zu lassen, bevor ich mich aufs Bett neben Sie setze, die Beine hochziehe und es mir gemütlich mache. Wir reden gerade über den frisch erbauten Pranger und ich komme nicht umhin die wunderschöne Flämmung zu begutachten, als Er Sie mit Seilen in den Händen fragt, ob Sie Lust hätte. Sie mag nicht und ich, die sehr wohl mag, trau mich nicht. "Wir müssen nicht..." - der Satz wirkt Wunder, jetzt wo es so greifbar nah ist will ich mir die Chance nicht entgehen lassen - wir müssen nämlich unbedingt.

Jetzt stehe ich da, mitten im Raum, zu weit weg vom sicheren Bett, um noch einen Rückzieher zu machen, ohnehin zu neugierig und viel zu aufgeregt dazu. "Soll ich mich dann ausziehen?" - versuche ich es möglichst lässig. "Ganz wie du es magst, ob du die Seile auf deiner Haut spüren willst oder..." - weiter kommt Er nicht, ich bin schon dabei und entledige mich nach und nach aller Kleidungsstücke - nur der Slip bleibt - anstandshalber. Nackt stehe ich da, seinen und ihren Blicken ausgesetzt - es stört mich nicht, ich mag es sogar. "Wie viele Bondages hast du schon mitgemacht?" - will Er wissen und schaut mir dabei lächelnd in die Augen. "Ich habe nicht mitgezählt, aber einige." - lächele ich unsicher zurück und hoffe, dass Er es nicht falsch deutet. "Gut, dann weißt Du ja worauf Du achten musst." - ja, das weiß ich, Er weiß es schon lange und dennoch fragt Er, klärt auf - gut, sehr gut. Also fängt Er an, legt das erste Seil um meinen Nacken und betätigt damit den Auslöser. Da sind sie, die Erinnerungen, die Gefühle, noch sind sie ganz zart und leise, tummeln sich irgendwo im Hintergrund und scharren unruhig mit den Füßen, aber sie sind da. Ich weiß welch köstliche Empfindungen mir dieses Seil schenken kann. Er flicht ein paar hübsche Knoten und ich kann Ihn gut dabei beobachten, wie Er sorgsam und doch routiniert seine Arbeit macht. Ich bin der Mittelpunkt, hier geht es um mich, seine Aufmerksamkeit ist mir gewiss. Aus dem Blickwinkel sehe ich Sie auf der Bettkante hocken und uns aufmerksam beobachten, sehe das Fenster vor mir, die Kommode... nein, jetzt möchte ich nicht denken, nicht sehen und schließe meine Augen und konzentriere mich ganz auf die anderen Empfindungen. Höre das Seil durch die Schlaufen surren, spüre es, als meine Hände hinter dem Rücken fixiert sind heiß auf meiner Haut, vergrößere den Widerstand, genieße die Reibung, Er zieht es fest, fest, fester, mit jedem Atemzug werde ich mir meiner Einschränkungen bewusst, atme dem Seil entgegen, hole das letzte Bisschen für mich raus. Er spielt mit mir, reagiert auf meine Signale, ich spüre seine Hände, höre Ihn lächeln und irgendwo dort verliere ich mich in mir. Irgendwo von weit weit her höre ich eine Kamera, denke daran, wie gern ich die Fotos sehen würde und dann... dann weiß ich nur noch, dass ich vor der Schräge stehe, am oberen Balken fixiert, ich spüre seine Hände auf meiner Haut und strecke mich ihnen entgegen. "Willst Du?" - irgendwas in der Art fragt Er und ich weiß, dass Er den Rohrstock meint, warum ich das weiß, weiß ich allerdings nicht mehr. "Ja, ja bitte!" - nichts ist mir jetzt lieber. Der erste Schlag ist so süß und ersehnt, wie ein Glas Wasser in der Nacht, Erleichterung macht sich breit, ich fühle mich so frei, frei, frei... Von weit weit her höre ich mich selbst aufstöhnen, ich fühle mich ein lautloses Lachen lachen und sein "Halt still." - oder irgendwas in der Art und ich halte still. Keinen Millimeter. Es ist fast so als würde ich die Schläge schmecken, auskosten, begleitet von seinen zärtlichen Berührungen lasse ich mich immer weiter aufs weite Meer hinaustreiben...

Es ist vorbei - die Erkenntnis trifft mich wie ein Eimer kaltes Wasser, als ich spüre, dass sich der Zug lockert. "Ich weiß, dass Du mehr willst, aber wir gehen es langsam an." - ich glaube irgendwas in der Art war es. Ich bin traurig, richtig traurig darüber, denn ich will mehr, ich will weiter fliegen. Zumindest die Seile will ich an mir spüren und Er lässt sie mir zum Glück, als Er mich an sich drückt und zum Bett trägt. Ich grabe mich förmlich in Ihn rein, es ist so untypisch für mich, dieses intensive Nähesuchen. Streicheln und kurz umarmen reichen mir sonst aus und ich will auch nicht mehr. Und nun sitze ich hier und will, dass Er mich hält, ganz ganz fest. Das ist es - das ist richtig, das ist echt.
Langsam komme ich in der allgemeinen Realität an und riskiere einen Blick zur Seite. Sie streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht und lächelt. Oh oh... irgendetwas stimmt nicht ganz, sie sagt zwar, dass alles bestens sei und agiert auch so, als ich sie darauf anspreche, aber sicher bin ich mir nicht, beschließe es zunächst einmal zu akzeptieren und Ihr zu vertrauen. Eine warme Tasse Tee und ein köstliches Mahl wecken erneut die Lebensgeister, alles scheint gut zu sein.

Die Quittung kommt ein wenig später nach dem Essen auf dem Sofa - nichts ist in gut. Es ist viel für Sie, eine völlig neue Situation, Sie hat nicht damit gerechnet und wurde von der Intimität überrascht. Gefühle sind nie rational. Theorie und Praxis. Kurze Zeit schweben wir beide in ihrem Schweigen, bis der Knoten platzt und wir konstruktiv an die Erlebnisse herangehen können. Für mich ist es nicht einfach, ich will sie nach wie vor nicht verletzen, allerdings bin ich nicht bereit falsche Tatsachen vorzuspielen, dauerhaft mit eingelegter Handbremse zu fahren. Für Ihn ebenfalls nicht. Sie nimmt uns mit ihrem Schweigen jede Möglichkeit zu agieren. Wir tappen im Dunkeln. Im Endeffekt war es hauptsächlich die Sorge um einen Kuss, ein Tabu, dessen Bruch ich niemals zugelassen hätte. Niemals. Er genauso wenig. Und da stehe ich wieder und mache mir Gedanken um Sie, die beteuert demnächst eher mit der Sprache heraus zu rücken, beteuert wie sehr sie weiß, dass Kommunikation das Fundament des Ganzen ist und Schweigen oder Verheimlichen dieses zerstört. Es scheint Ihr bewusst zu sein. Übel nehme ich es Ihr nicht. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass es besser ist alles auszusprechen, nur so kann man überhaupt die Möglichkeit in Erwägung ziehen die Situation aufzuklären. Mit der Zeit. Und wir stehen gerade am Anfang. Sie scheint mir nach wie vor eine reflektierte Person zu sein, für diesen Abend ist alles zwischen uns geklärt und ich schlafe traumlos und ohne einen einzigen Gedanken ein - völlig erschöpft. Was für ein Anfang...

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